Ist die Bilanz einer Bank nur eine Bestandsaufnahme?

Für Wirtschaftsbetriebe ohne Banklizenz ist die Bilanz eine Bestandsaufnahme der betrieblichen Situation. In ihr werden die abgelaufenen Geschäftsprozesse dokumentiert.

 
Demgegenüber ist die Bilanz von Geschäftsbanken nicht nur eine Dokumentation des Vergangenen, sondern sie bestimmt vielmehr den Grad der Aneignung von Werten aus dem Publikum in der Gegenwart. Bei Geschäftsbanken laufen im Hintergrund Prozesse ab, die in das Denkschema normaler betrieblicher Abläufe (Gewinn = Erlös - Kosten) nicht rein passen. Aber nur die Erträge, die in das normale Denkschema rein passen und in der Bilanz dargestellt werden können, werden von der Öffentlichkeit als real erwirtschaftet akzeptiert.

 
Die Bilanz dient deshalb den Betreibern von Geschäftsbanken dazu, die erhalte- nen Vorteilsnahmen aus den verborgenen Hintergrundprozessen den sichtbaren Vordergrundprozessen zuzuschreiben. Die Vordergrundprozesse sind die be- kannten Bankdienstleistungen, wie Geldanlageleistungen, Zahlungsverkehrs- leistungen und Finanzierungsleistungen. Die im Hintergrund ablaufenden Prozesse sind das Zusammenspiel von geldschöpfenden Schreibvorgängen mit der Kompensation der von Bankkunden initiierten Zahlungen, in meinem Buch in Kap. 2.7 als strukturell bedingte kooperative Giralgeldschöpfung herausgearbeitet. Sie wird dort kurz kooperative Geldschöpfung genannt.

 
Der Ertrag aus der kooperativen Geldschöpfung (den Hintergrundprozessen) wird in der Bilanz gegenüber der Öffentlichkeit als Ertrag aus den bekannten Bankdienstleistungen (den Vordergrundprozessen) dargestellt. Obwohl die Vordergrundprozesse für die direkte Ertragserzielung bei großen Geschäfts- banken wenig Bedeutung haben, werden in ihrer Bilanz ausschließlich Vordergrundprozesse als Grund für den Geschäftserfolg angeführt. Diese Praxis wird durch umfangreiche gesetzlich sanktionierte Sonderregeln für Banken unterstützt. Ein Beispiel dafür ist die Solvabilitätsverordnung von Deutschland. Das ist ein Buch über 600 Seiten und 340 Paragrafen, nur über Regelungen für den Bereich Eigenmittelanforderungen von Kreditinstituten.

Dagegen brauchen Banken auf Offshore-Finanzplätzen diese "Verrenkungen" in ihrer Buchhaltung nicht machen. Dort existieren keine oder sehr geringe Offenlegungspflichten für Bankbilanzen.